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Die Herkunft des Ortsnamen Lorch


aus den Rheingauischen Heimatblättern

Nr. 3 + 4   1982
Von Dr. G. Hagenow

Das am Nordwestrand des Rheingaus gelegene Städtchen Lorch hat in deutschen Landen einige Namensvettern, teils gleichklingende, teils ähnlich lau­tende, wie Lorsch, Lörick, Lörich, Lü-rick u. a. m. Die norddeutschen Lohra und Lohre können hier beiseite blei­ben. Für die meisten ist auch schon gleicher oder ähnlicher Ursprung ver­mutet worden; eine Übereinstimmung über eine gemeinsame Herkunft be­steht jedoch nicht. Wenn man aber die verschiedenen Deutungen gegenein­ander abwägt, so ergeben sich doch gewisse weiterführende Perspektiven. Ältere Versuche, den Ursprung dieser Namen ausschließlich im Bereich ger­manischer Sprachstämme zu eruieren, haben sich als wenig überzeugend herausgestellt und daher auch keine allgemeine Anerkennung gefunden. So ist eine Verbindung mit dem Stamm „loh" = „Wald" aus Gründen sprach­geschichtlicher Entwicklungsgesetze abzulehnen. Sie wurde unter Hinweis auf Namen wie Gütersloh, Kleinhesseloh oder Hohenlohe in den dreißiger Jahren wohl mehr aus einem zeitbe­dingten Modetrend heraus vorgetragen (H. Ammon: Kleines Deutsches Na­mensbuch. Paderborn 1937 S. 81). In die gleiche Richtung zielte eine Hypo­these, mit der der Name des links­rheinischen, heute zu Düsseldorf ein­gemeindeten Dorfes Lörick gedeutet werden sollte aus „Loh + Rike", was etwa „schmaler, bewaldeter Bergrücken" bedeuten sollte (C. Vossen; Aus der Vergangenheit von Lörick. In: 25 Jahre Bürgerverein Düsseldorf-Lörick e.V. 1979 S. 58). Wieweit diese Deu­tung wahrscheinlich ist, kann hier of­fen bleiben; für eine Erklärung des Namens Lorch ist sie gewiß nicht hilf­reich.

Eine solche wird vielmehr von Fachleuten eher im kelto-romanischen Sprachbereich gesucht, so auch zu­letzt von R. Struppmann in seiner verdienstvollen Neubearbeitung der „Chronik der Stadt Lorch am Rhein" (Eltville 1981, S. 12). Die keltischen Bewohner der Gebiete beiderseits des Rheines hatten während der rund vier Jahrhunderte, in denen die Römer am Rhein herrschten, weitgehend die la­teinische Sprache übernommen, diese allerdings auch mit Resten ihres ge­nuinen keltischen Sprachgutes durch­gesetzt. So darf grundsätzlich mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß Ortsnamen dieses Bereiches auf la­teinische oder keltische Sprachwurzeln zurückgehen. Um eine solche Ablei­tung aber zu erhärten, reicht allerdings rein sprachwissenschaftliche Ar­gumentation nicht aus. Will man für einen Ortsnamen unseres Gebietes die Entstehung aus einer lateinischen Bezeichnung wahrscheinlich machen, so bedarf es zur Stützung dieser Hy­pothese weiterer Indizien. Da können einmal inschriftliche Belege oder ur­kundliche Quellen von Bedeutung sein, andrerseits aber auch geschicht­liche Fakten und bodenkundliche Er­kenntnisse mitsprechen.

 

Ehemalige Mühle an der Wisper

 

Tatsächlich liegen so gut wie alle Orte, deren Namen Loren lauten oder so ähnlich klingen, in Gebieten, die ein­mal zum römischen Reich gehörten: am Nieder- und Mittel-Rhein, in Würt­temberg und an der Donau. Für die Erklärung dieser Namen kommen zwei grundverschiedene lateinische Wörter in Betracht: „laurus" oder „lorica". Von „laurus" = „Lorbeer" gab es mehrere adjektivische Weiterbildun­gen, die für Orts- oder auch Personen-Namen verwendet werden konnten, unter ihnen z. B. Laurentius, aus dem sich im Deutschen Lorenz entwickelt hat. Das Wort „lorica" stammt aus der lateinischen Militärsprache; es be­deutete ursprünglich „Panzer, Brust­schutz", wurde dann auch als „Brust­wehr, Schanze" verstanden und wird bei Caesar und Tacitus für „Umzäu­nung, Einfriedigung, Zaun" gebraucht. Von „lorica" hat der belgische Sprach­forscher J. Vannerus in: Föderation archeol. et histor. de Belgique, 22ieme Session, Liege 1932 den Namen Lorch abgeleitet. Ihm hat sich auch A. Bach in: Deutsche Namenskunde, Bd. II, 2 Heidelberg 1954, S. 78) angeschlossen (vgl. H. Kaufmann: Rheinische Städte­namen. München 1973 S. 199 f.)- Die Ableitung von „lorica" ist nach Kauf­mann (a.a.O. S. 200) auch für die Orts­namen Lorich (nördlich von Trier), Lürken (Kr. Jülich), Lörick (bei Düssel­dorf) und Loerik (Prov. Utrecht) gültig. Nun darf man es als sehr wahrschein­lich ansehen, daß die Römer gerade an der Wispermündung einen militäri­schen Stützpunkt errichtet und unter­halten haben. Er deckte als rechts­ rechts­rheinischer Brückenkopf den durch die Lorcher Insel erleichterten Rheinüber­gang, der die Verbindung zwischen den einzelnen römischen Limesposten und ihrer Garnison in Singen sicherte. Diese Theorie wird durch verschiedene archäologische Kleinfunde römischen Ursprungs gestützt, die im entspre­chenden Bereich des Lorcher Rhein­ufers gemacht wurden. Ferner spre­chen Baureste im Fundament des Lor­cher Kirchturms dafür, daß hier auch nach der Aufgabe des Limes zwischen 360 und 370 n. Chr. Geb. noch unter Kaiser Valentinian ein befestigter Turm   eines   römischen   Wachpostens stand.

Einen epigrafischen Beweis für eine römische (Be)Siedlung in Lorch gibt es freilich nicht, geschweige denn einen Beleg für den lateinischen Na­men dieses hypothetischen römischen Stützpunktes. Etwas Entsprechendes fehlt auch für die andere Deutung des Namens Lorch, die sich auf den kelto­romanischen Stamm „laur-" stützt.

 

Aber sie führt uns zu einer Urkunde des Städtchens Lorch bei Schwäbisch Gemünd, aus dem Jahr 1139, in der es heißt: „ . . . locus, qui dicitur Laureacus" = „ . . der Ort, welcher Laureacus heißt"; und es wird angenommen, daß hier ehemals ein römisches Kastei lag. Ganz entsprechend wird auch die bei der Stadt Enns an der Donau in Oberösterreich gelegene Siedlung Lorch gedeutet: sie soll ihren Namen von einer römischen Militärkolonie er­halten haben, die „Laureacum" (oder keltisch: „Lauriakom") hieß, wohinter sich vielleicht ein Familienname „Laurios" verbarg. Diese Erklärung hat frü­her auch A. Bach (Die Siedlungsna­men des Taunusgebietes in ihrer Be­deutung für die Besiedlungsgeschich­te. Bonn 1927) vertreten, und M. Herchenröder ist ihr noch 1965 gefolgt (Der Rheingau, in: Die Kunstdenkmä­ler des Landes Hessen. DKV S. 237), - ohne freilich durch ein Sternchen deutlich zu machen, daß die Namens­form eines keltischen „Lauraceum" nirgends belegt, sondern rein hypo­thetisch ist.

Für die Entscheidung zwischen den beiden vorgelegten Deutungen — von Jorica" oder von „laur(aceum)" - dürfte jedoch bedeutsam sein, was über das ehemalige Kloster Lorsch im hessischen Ried .ermittelt wurde. Im Klostergebiet haben sich dort Spuren eines alten Landhauses, einer „villa rustica" aus der römischen Kaiserzeit gefunden; zudem sind aber schon aus dem Jahre 764 die Namensformen „Laurisham" und „Laurisca" belegt (K. Böhner, in Führer zu den vor- und frühgeschichtlichen Denkmälern, Bd. 3: Mannheim. Odenwald. Lorsch. Ladenburg. - Mainz 1973 S. 114). Ob­wohl aber in diesem Fall die Spuren römischer Besiedlung und die mittel-altrige Beurkundung des Namens nur vier Jahrhunderte auseinander liegen, hat F. Debus (Der Name Lorsch, in: Die Reichsabtei Lorsch. Festschrift zum Gedenken an ihre Stiftung 764 (1964) S. 35 ff.) betont, daß die An­nahme einer kontinuierlichen Besiedelung des Ortes keineswegs gerecht­fertigt sei, und daß der Ortsname eher auf die Zusammensetzung eines ger­manischen Personennamens mit der Endung: „-heim" (Lauris-ham) zurück­zuführen sei.

 

Überträgt man alle diese Überlegun­gen nun auf unser Rheingauer Lorch, so muß eingeräumt werden: die archäologischen Funde dürften kaum ausreichen, um darauf die Annahme einer festen Siedlung in römischer Zeit zu gründen. Aber nur auf eine solche könnte der von Jorica" ab­geleitete Name bezogen gewesen sein, der sich dann auch nach dem Abzug der Römer vom Rhein kontinu­ierlich erhalten und bis ins Mittelalter hinein bewahrt hätte. Der überliefe­rungslose Abstand zwischen dem aus­gehenden vierten Jahrhundert, der Endzeit römischer Präsenz am Rhein, und der ersten urkundlichen Bezeu­gung der Siedlung Lorch (Lorecha und Loriche) gegen Ende des elften Jahr­hunderts ist einfach zu groß, als daß er die Annahme gestattete, der Name eines römischen Stützpunktes oder gar einer antiken Siedlung könne ihn überdauert haben.

So bleibt wohl die Ableitung des Orts­namens Lorch aus einem Personen- ­oder Geschlechternamen mit dem Stamm Laur- oder Lor- die wahrschein­lichste Erklärung. Welcher Sprache dieser Stamm zugehörte, wird sich kaum entscheiden lassen. Der Perso­nennamen Laurius ist sowohl im römi­schen als auch im keltischen Sprach­raum etabliert. +„Lauriacum" wäre danach als „dem Laurius gehörig" aufzu­fassen (vgl. Kaufmann a. a. O. S. 200) oder als „Besitzung des Laurius". So wird auch das Dorf Lörick bei Düssel­dorf als Besitz eines römischen Veterans Laurus aus dem Kastei Novaesum ( = Neuß) erklärt (vgl. F. Gramer: Rhei­nische Ortsnamen aus vorrömischer und römischer Zeit. Düsseldorf 1901 S. 43; dazu Marjahn: Keltische, latei­nische, slawische Ortsnamen in der Rheinprovinz. Teil l - IV Aachen 1880 bis 1884: Programme der Realschule [.Ordnung, II S. 14).

Diese umständliche, mit manchen Un­sicherheiten belastete und Zweifeln raumgebende Beweisführung kann nicht voll befriedigen. Das darf man aber im Bereich der historischen Na­mensforschung nur selten erhoffen. Die Vorstellung, Lorch sei zur Römer­zeit eine kleine Festung gewesen und habe die Erinnerung daran bis zum heutigen Tag in seinem Namen be­wahrt, wird man wohl ohne Bedauern aufgeben. Ob hinter diesem Namen aber noch ein Stückchen eines altrömischen oder keltischen Lorbeers - „mein achtel Lorbeerblatt, wie Reinhard Mey es umschreibt - hervorlugt, mag man mit geringerer Reserve oder etwas größerer Genugtuung akzeptieren.

(Dr. G. Hagenow)